Sie befinden sich im theoretischen Teil der Homepage von Eckbert Lösel.
Dieser Teil ist durch seine Komplexität nicht für kleine Bildschirmgrössen wie denen von Smartphones geeignet.
Er wurde deshalb so gestaltet, dass der Inhalt auf kleinen Bildschirmformaten nicht zu sehen ist. Bitte nutzen Sie einen PC oder ein Tablet.
Das Fahnenprojekt USURA stellte einen bitteren Rückschlag für die Gruppe T.R.O. dar und leitete den vorläufigen Zerfall ein, auch wenn sich die Gruppe danach in anderer Besetzung neu organisierte. Dabei begann alles mehr als vielversprechend. Der Eigner der Spreehöfe spendierte der Gruppe auf deren Vorschlag hin ein Fassadenprojekt der ganz besonderen Art.
Neun riesige Fahnen sollten im rechten Winkel zur Wand angebracht werden, deren eine Seite die Farbe Gold, die andre die Farbe von Rost haben sollte. Sah man auf der in ost-west-Richtung gelegenen Wilhelminenhofstrasse in Richtung Westen, erstrahlten die Fahnen in Gold, sah man Richtung Osten, leuchtete dem Betrachter die Farbe des Rostes entgegen. Es wurde vereinbart, dass die Gruppe T.R.O. die Herstellung der Fahnen übernahm, während der Besitzer der Spreehöfe für deren Hängung sorgen sollte. Die Materialkosten wurden ebenfalls grosszügig vom Eigentümer übernommen.
Als Erstes wurden Räume für die Produktion gesucht, auf dem zugehörigen Gelände schnell gefunden und der Gruppe kostenlos überlassen. Für die Herstellung des Rostes sollte eine Rostfabrik, wie die in St. Petersburg entwickelte, nur in weit grösseren Dimensionen gebaut werden. Hierzu wurden drei alte Badewannen etwas erhöht aufgebockt und mit Metallabfall und Spreewasser gefüllt. Das entstandene Rostwasser wurde dann in eine vierte Wanne abgelassen, und durch abschöpfen und sich setzen lassen zu Rostwasserkonzentrat, das dann getrocknet wurde. Auf diese Weise entstand herrlich leuchtender orangeroter Rost.
Die neun Meter langen Fahnen wurden bestellt, der Termin war durch die Jubiläumsfeier der Spreehöfe vorgegeben.
Es stellte sich jedoch bald heraus, dass die Anlage für die grossen Mengen an Rost, der benötigt wurde, nicht ausreichen würde und so wurde fieberhaft nach anderen Lösungen gesucht. Metallspäne aus einer nahegelegenen Metallschleiferei boten sich an, es dauerte aber noch weitere zeitraubende Versuche, bis die Lösung darin gefunden wurde, die Späne mit essighaltigem Wasser zu besprühen.
In ganz Berlin wurden nun Metallspäne gesammelt, auf grosse Flächen ausgebreitet und mit Essigwasser übersprüht. So entstand innerhalb von ca. einer Woche ein sehr dunkler, aber ansprechender Rost in ausreichenden Mengen, der noch zu feinem Pulver gerieben wurde. Die mittlerweile verstrichene Zeit sollte später jedoch auf fatale Weise fehlen.
Die Fahnen wurden nach einiger Diskussion zuerst mit orangeroter Acrylfarbe grundiert, obwohl dies der reinen Lehre nur Gold (Schlagmetall) und Rost zu verwenden, widersprach. Es wurde als notwendig erachtet, um den dunklen Rost etwas zum leuchten zu bringen. Die Entscheidung stellte sich als richtig heraus und hatte darüber hinaus den Vorteil, dass die sich gegenüberliegenden Farbschichten nicht auf der Gegenseite durchschlagen konnten.
Tausende Schlagmetallplättchen wurden nun nach alter Vergoldermanier aufgelegt, dann die Gegenseite mit dem in Acryl gebundenen Rost bestrichen. Zuguterletzt wurde jeder Fahne noch ein kleines Logo aufgesprüht. Die verbleibenden vierzehn Tage schienen zum Hängen der Fahnen auszureichen.
Am Tag der Hängung stellte sich dann heraus, dass der Schmied, der die Stangen zur Befestigung der Fahnen an der Wand liefern sollte, in der letzten Minute vom Statiker des Hauses darüber informiert worden war, dass die Metallplatten, zur Befestigung der Stangen an der Wand, mindestens 80x80 Zentimeter gross sein müssten, um dem immensen Windruck der Fahnen standhalten zu können. Diese Platten wurden also auf die schon vorhandenden kleineren aufgeschweisst und so ausgeliefert.
Ein flüchtiger Blick hinauf auf die Fassade genügte jedoch, um zu erkennen, dass die dortigen dekorativen Vorsprünge in der Wand eine Aufhängung in der vorgesehenen Höhe mit den grösseren Metallplatten unmöglich machten. Die einzige Möglichkeit war, sie oben etwas tiefer und unten etwas höher zu befestigen, wodurch die Fahnen nun 1,6 Meter zu lang geraten waren und zudem die schöne Proportionierung zur Fassade völlig zerstört war. Nach einer kurzen Beratung, das Projekt ganz abzubrechen, wurde eine Näherei gefunden, die sich bereit erklärte, die Fahnen über Nacht um die erforderliche Länge zu kürzen. Diese Arbeit wurde an sich sehr gut bewerkstelligt, nur waren die Laschen, in die die Stangen eingefädelt wurden beim Umnähen zu eng geraten, wodurch die Männer auf dem Kranwagen immense Probleme hatten sie in der luftiger Höhe einzufädeln.
Um sicher zu gehen wurden die Schrauben in die Wand mit Zweikomponentenkleber gesichert, der jeweils 20 Minuten zum Aushärten benötigte, was bei sechs Schrauben je Platte, eine nicht unerhebliche Zeitverzögerung mit sich brachte.
Zu allem Überfluss aber hatte der Kranwagen, der die beiden tapferen Monteure nach oben brachte, die unangenehme Angewohnheit, den eigenen Akku schon nach zweimaligem Auf- und Abfahren völlig zu entleeren. Zwar waren genug Steckdosen vorhanden, jedoch war das Gerät so unsinnig konstruiert, dass es während des Ladevorgangs ausgeschaltet werden musste und eine Weiterarbeit unmöglich war.
Jeder, der zu dieser Zeit in Berlin lebte, kennt diese unglücklichen Zufälle, die die Stadt so sympathisch gemacht haben. Jedenfalls waren zum Zeitpunkt der feierlichen Einweihung, zu deren Begiessung auf der gegenüberliegenden Seite eine Bar eingerichtet und 6000 Einladungen verschickt worden waren, gerade einmal vier der neun Fahnen aufgehängt. Soll man es als Glück bezeichnen, dass der Besucherandrang überschaubar blieb?
Die Aktion hatte auf jeden Fall weitreichende Konsequenzen. Der Besitzer der Spreehöfe, der ein Vielfaches der geplanten Kosten zu bestreiten hatte, zog sich völlig von der Gruppe zurück. Zwar wurden die Ateliers nicht gekündigt aber an eine weitere Unterstützung war nicht mehr zu denken. Auch die junge und ambitionierte Managerin, die die Gruppe erst seit kurzem begleitete, war nicht mehr zu sprechen. Und natürlich hinterliess die Aktion auch Spuren im Zusammenspiel der Gruppe selbst, die Schwierigkeiten hatte, die Ursachen für das Debakel aufzuarbeiten. Zwar lag die Verantwortung für die Hängung der Fahnen nicht bei der Gruppe, das Fehlen einer übergeordneten, koordinierenden Kraft und einer vorausschauenderen Planung aber sicherlich schon.
Vierzehn Tage später, als die Fahnen dann alle hingen, war es trotzdem ein toller Anblick. Das Schlagmetall begann sich bald mit einer ganz eigenen Patina zu schmücken, was den Kontrast zum Rost immer kleiner werden liess. Das Schönste war, dass man zu keinem Zeitpunkt sagen konnte, welche Seite eigentlich die Schönere war, die Richtung Osten oder die nach Westen.